6. OHRENBÄR-Schreibwettbewerb - "(K)eine ganz normale Freundschaft" (3. Platz)
Von Anton Schanz
"Gib’s ihm! Gib’s ihm!" Der Schweiß perlt mir von der Stirn. Ich ringe
nach Luft und probiere erschöpft, den dicken Sven aus meiner Klasse
abzuhängen. Ich halte das Blatt Papier fest in meiner Hand, obwohl ich
eigentlich keine Kraft mehr habe. Da endlich: Unsere Straße! Mit
allerletzter Kraft stürme ich zu unserem Haus und klingele Sturm. Meine
Mutter öffnet.
Sie fragt: "Wieso kommst du so spät von der Schule heim? Und vor allen Dingen, wie siehst du überhaupt aus?"
Keuchend
kommt Sven vor unserem Haus zum Stehen. Meine Mutter fragt ihn, warum
er hier in unserer Straße sei, wo er doch so weit weg wohnt. Daraufhin
antwortet er: "Ich, wir – also – wir spielen Fangen."
"Durch die ganze Stadt?"
Nur
damit ihr’s wisst: Ich bin ein kleiner, abgemagerter Junge mit viel zu
großer Brille. Ich habe meistens Hawaiihemden an (die sind mir auch oft
viel zu groß). Ich bin ein totaler Lese- und Computerfreak und ein Genie
in der Schule. Vor allen Dingen in Geschichte. Das sind wahrscheinlich
die Gründe, warum ich keine Freunde habe und in der Schule gemobbt
werde.
Die Sache mit dem Blatt Papier ist die: Sven, der Schlechteste
aus unserer Klasse (aber auch der Beliebteste der ganzen Schule) hatte
seine Arbeit mit meiner vertauscht. Es war eine Geschichtsarbeit. Ich
habe sie heimlich wieder zurückgetauscht, wurde dabei aber von Alex,
Svens sogenanntem Schatten, erwischt. Er schrie alle zusammen. Sven
wurde wütend und die Hetzjagd durch die Stadt begann. Den Rest kennt ihr
bereits.
Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, vor meiner Tür.
Sven
hat sich inzwischen verlegen zurückgezogen. Ich gehe ins Haus. Es gibt
schon Abendbrot. Ich habe keinen Hunger. Ich frage also, ob ich
aufstehen dürfe. Ich darf und gehe hoch in mein Zimmer. Das klingt
vielleicht verrückt, aber ich arbeite an einer Zeitmaschine. Mit dem
Plan bin ich schon fertig. Wie ich die Maschine bauen muss, erkläre ich
lieber nicht. Ihr würdet nicht mitkommen! Jedenfalls, als ich auf den
Knopf drücke, wird mir plötzlich schwindelig. Und als ich die Augen
aufmache (ich hatte sie vor Schreck zugemacht), befinde ich mich, na ja,
wie soll ich sagen, in einem Nichts. Ach so, doch, etwas ist da. Ein
riesiges Feld mit verschiedenen Schriften. Ich sehe genauer hin und
bemerke, dass das verschiedene Zeitepochen sind. Bei jeder Schrift liegt
ein Armband mit Gebrauchsanweisung: Armband umbinden und auf den Knopf
drücken. Wenn Sie wieder zurück in die normale Zeit wollen, wieder auf
den Knopf drücken. Ich tue es.
Plötzlich stehe ich auf einer grünen
Wiese. Hinter mir ein riesiger Wald. Ich höre ein Rascheln. Ein
mächtiger Braunbär stürmt aus dem Wald. Er versteckt sich in einer
Grube. Dann höre ich wieder etwas. Dieses Mal kommen viele Männer
heraus. Sie sehen aus wie Steinzeitmenschen. Jeder von ihnen hebt einen
Speer in die Luft. Ich schaue auf mein Armband: Steinzeit! Wie neidisch
Sven und seine Jungs sein würden, wenn ich ihnen das erzählte! Ich
möchte den Bären retten und weise den Steinzeitmenschen eine falsche
Richtung. Sie rennen sofort los. Vorsichtig nähere ich mich der Grube.
Der Bär klettert wieder heraus. Ich höre eine Stimme: "Du hast mich
gerettet! Ich danke dir!"
Ich stottere: "Hast du gerade mit mir
gesprochen? Ja? Aber, du bist doch ein Tier!" Mein Blick fällt zufällig
auf die Unterseite des Armbandes. Da steht: + Sprachübersetzer.
Der Bär fragt: "Freunde?"
Ich
sage, dass ich gern wolle, dass ich aber gleich wieder zurück müsse,
weil sie mich bestimmt schon suchen. Der Bär fragt, ob er nicht
mitkommen könne, hier würde er eh zu oft gejagt. Ich willige ein.
Vielleicht finden es meine Eltern okay, wenn der Bär bei mir wohnt. Ich
fasse ihn also bei der Pfote und drücke auf das Armband.
Da stehen
wir beide in meinem Zimmer, das Armband ist weg. Der Bär ist sofort
begeistert und geht in meinem Zimmer hin und her. Dabei tritt er auf die
Zeitmaschine. Sie explodiert, der Bär stolpert erschrocken zurück.
Leider lag mein Plan auf der Maschine und … na ja. Die Asche bekommt
einen Ehrenplatz auf meinem Fensterbrett … Es hat ja auch sein Gutes,
denn der Bär bleibt jetzt für immer bei mir. Ich frage ihn, wie er
heiße. Er heißt Detlef. Dann stelle ich mich ihm vor: "Ich heiße
übrigens auch Detlef!"
So, jetzt muss ich die Sache nur noch mit
meinen Eltern klären. Ich gehe also mit Detlef runter. Ich sage lieber
nicht, wie lange ich brauchte um meine Eltern zu überreden. Aber
schließlich darf ich doch. ICH DARF BÄR SOGAR IN DIE SCHULE MITNEHMEN!
Ihr könnt sicherlich verstehen, dass ich mich wenigstens ein kleines
bisschen an Sven rächen will!
Ein paar Tage später wache ich morgens
auf: VAAAH! Hab ich gut geschlafen! – Moment mal. Ich hatte für den
heutigen Tag doch irgendetwas vor? Ah! Der Racheplan für Sven! Nochmals
alles durchgehen: Ja, erst das, dann das. Und weiter. Und fertig! Ich
stürme runter in die Küche, esse mein Müsli, während ich mich anziehe,
rufe meiner Mutter noch ein Tschüss zu und dann raus in den Garten!
Zähneputzen kann ich heute ausfallen lassen. Nur ab in den Dschungel,
äh, Garten, und Detlef, kurz: Bär, aufwecken.
Da liegt er ja, unterm
Busch. Auf sein Nur-Noch-Fünf-Minuten-Gekrächze antworte ich nicht, ich
ziehe ihn nur mit: "Hast du den Racheplan auswendig gelernt?!"
Ja,
ja. Dann kann’s losgehen! Ranzen auf die Schulter, Bär an die rechte
Hand und los! Ich schaue auf meine Uhr: 7.28 Uhr. Um 8.00 Uhr fängt die
Schule an. Für den Schulweg brauche ich ungefähr 5 Minuten. Da vorne ist
schon das Schulgebäude. Wie immer weichen alle Jungen vor mir zurück.
Sven ist auch da. Der ärgert mich in letzter Zeit gar nicht mehr. Meinem
Racheplan entgeht er trotzdem nicht. Es ist Zeit, in den Klassenraum zu
gehen.
Mein Geschichtslehrer ist bereits da. Ich räume meine Sachen
aus, der Unterricht beginnt. Jetzt kann es starten. Also, ich lasse
meinen Radiergummi fallen und Bär, der vor meinem Tisch sitzt, tut so,
als ob er ihn aufheben würde. Dann stolpert er über den Radiergummi und
taumelt auf Svens Tisch zu. Und dann ist der Tisch Kleinholz und Sven
erstmal K.O.
Hm. Jetzt muss es nur noch in der Realität richtig
laufen. Ich kann mich gar nicht auf Geschichte konzentrieren. Obwohl ich
Geschichte so mag. So. Jetzt. Ich beginne. Den Radiergummi runter
schubsen. Ups! Das war ja die ganze Federtasche! Und Bär stolpert nicht …
nein, er rutscht aus! Und fliegt durch die Luft! Schnurstracks auf Sven
zu! Mist!!! Sven hat sich geduckt! Bär fliegt … durch die
Fensterscheibe! Dumm gelaufen!
Nach Schulschluss gehe ich nach Hause
und bringe meinen Eltern schonend die Rechnung bei. Das meiste muss ich
von meinem Taschengeld bezahlen.
Jetzt aber endlich mal eine gute
Nachricht. Ich habe eine neue Zeitmaschine gebaut. Ich gehe also mit Bär
hoch in mein Zimmer, fasse ihn bei der Pfote und drücke auf den Knopf.
Plötzlich stehen wir auf dem Feld vom letzten Ausflug. Ich will mir in
Ruhe eine Epoche aussuchen, doch Bär bindet sich einfach ein Armband um,
fasst mich bei der Hand und drückt auf den Knopf.
Wir sehen eine
Pyramide, dann Sand. Ihr könnt euch die Zeitepoche sicher schon denken.
Ohne zu überlegen zücke ich meinen Notizblock, hole den Bleistift aus
meiner Tasche und ab geht’s in die Pyramide. Ich denke weder daran, dass
ich mich verlaufen, noch, dass da eine Todesfalle auf mich warten
könnte. Erst mal geht es nur einen dunklen Gang entlang. An den Seiten
sind Fackeln, der Gang ist mit Hieroglyphen bemalt. Zum Glück, wie ich
später erfahre, habe ich den richtigen Gang gewählt. Da vorne geht eine
Treppe hoch, davor ist eine Tür. Bär schafft es, sie zu durchbrechen.
Mir bleibt der Mund offen stehen. Da sind ganz viele Schätze! Ich zähle
sie lieber nicht auf.
"Ih, stinkt das hier vermodert!", sagt Bär.
Ich
bereue schon, dass ich heute keine Zähne geputzt habe. Aber da merke
ich, dass er gar nicht mich meint. Bär steht vor einem Sarg. Die Mumie,
denke ich, und gehe aufgeregt darauf zu. Tatsächlich! Tja, ich bin nicht
der Einzige, der sich die Zähne nicht geputzt hat.
"Ih!", schreit Bär, "ich schätze 3000 Jahre!"
Auf
einmal hören wir Stimmengeheul. Wenn das der Geist ist? Schnell weg!
Blitzartig greife ich mir noch eine Goldmünze für das kaputte Fenster.
Dann geht’s nach Hause!
Als wir wieder in meinem Zimmer stehen, merke
ich an meiner großen Uhr, dass gar keine Zeit vergangen ist. Sehr
praktisch, denn dann bin ich gar nicht weg gewesen! Hätte ein Mensch uns
zugeschaut, wären wir nur eine Sekunde im Nichts verschwunden. Ich gehe
nach unten, gebe meinen staunenden Eltern das Goldstück und gehe wieder
hoch in mein Zimmer.
Ich hecke einen neuen Racheplan für Sven aus.
Wir könnten ihn ins Trojanische Pferd sperren. Doch nein, da würde er
gar nicht reinpassen. Wir könnten ihn in die Steinzeit schicken. Oder …
ich lasse es ganz und mache endlich meine Hausaufgaben. Ich will
schließlich nicht noch mal zum Schatz reisen müssen, um ein Missgeschick
zu bezahlen.