Marc und Lara kennen sich seit der 1. Klasse. Sie sind richtig gute Freunde, doch ihre Mitschüler verstehen das nicht. Ständig werden sie wegen ihrer Freundschaft ausgelacht! Alle denken, sie wären verliebt und rufen ihnen Sprüche wie: "Ei, ei, ei, was seh' ich da, ein verliebtes Ehepaar!" hinterher. Das nervt ganz schön! Deshalb haben Marc und Lara sich einen geheimen Treffpunkt gesucht: Das alte Baumhaus an der knorrigen Blutbuche im Wäldchen hinter der Stadt. Hier tauschen sie Fußballbilder, spielen Nintendo oder streifen durch das Dickicht des Waldes. Die Sommerferien haben begonnen – die schönste Zeit des Jahres. Marc und Lara wollen gerade die Strickleiter ihres Baumhauses erklimmen, als sie sehen, wie ein geheimnisvoll schimmernder Vogel mit glitzernden Federn aus dem Fenster davonfliegt. Verwundert darüber betreten sie das Haus und sehen auf dem Boden ein altes, zauberhaftes Buch liegen. In dem Buch steckt ein Lesezeichen. Es ist eine Feder des Vogels, der eben aus dem Fenster davongeflogen ist. Die Freunde schlagen das Buch auf und beginnen zu lesen.
"… Die Zeit wird knapp! Das Licht erlischt! ... Am 07.07.2010 wird sich um 17.07 Uhr die Luke am Fuße der alten Blutbuche öffnen ..."
Sie blättern um und sehen eine Landkarte. Nachdenklich betrachten die Freunde die geheimnisvollen Zeichen auf der Karte, als Marc plötzlich aufschreit: "Lara, das ist ein Plan von unserem Wald! Schau, hier ist das Baumhaus, hier ist der Brombeerbusch, an dem du dir immer die Beine aufkratzt und das hier ist die alte Blutbuche!"
Lara läuft ein Schauer über den Rücken: "Marc, heute ist der 07.07.2010 und es ist gleich 17.00 Uhr! Komm, lass' uns nachsehen, ob wir die Luke an der Buche finden!"
Flink klettern die beiden hinunter und machen sich auf die Suche. Am Stamm der alten Blutbuche ist nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Ratlos scharren sie mit den Füßen das Laub hin und her. Doch plötzlich sehen sie zwischen zwei knorrigen Wurzeln eine Tür im Boden. Vorsichtig öffnen sie diese. Vor ihnen führt eine Treppe weit in die Tiefe, am Ende dieses Tunnels sehen sie ein glitzerndes Leuchten, das sie an die Feder des zauberhaften Vogels erinnert. Zögernd steigen sie hinab. Je weiter sie in den Tunnel hinabsteigen, umso bunter und farbenfroher wird alles um sie herum. Starke, kräftige Bäume und saftig grüne Lichtungen sehen sie. An den Brombeersträuchern wachsen große, schillernde Früchte, Eichhörnchen springen fröhlich von Baum zu Baum. Die Tiere in diesem Wald sehen merkwürdig aus. Die Hirsche tragen statt ihres Geweihs große Besen auf dem Kopf, die Maulwürfe haben riesige Pfoten so groß wie Mistgabeln und die Keiler der friedlichen Wildschweinrotte Hauer so groß wie Elefantenstoßzähne.
Marc und Lara wandern staunend durch den Wald. Ein riesiger Hirsch kommt auf sie zu. Merkwürdigerweise haben sie keine Angst vor ihm. Er beginnt mit menschlicher Stimme zu sprechen: "Es ist höchste Zeit, dass ihr kommt! Vor vielen Jahren flüchteten wir aus der Welt da oben, weil wir dort nicht mehr leben konnten. Ständig zogen Jäger durch den Wald und schossen unsere Freunde ab, Autos machten Krach. Mitten durch unseren Wald bauten die Menschen eine Straße, so dass wir unsere Freunde am anderen Ende des Waldes nicht mehr besuchen konnten ohne überfahren zu werden. Wir Hirsche konnten mit unserem Besengeweih den ganzen Müll nicht mehr beseitigen, den die Menschen hinterließen, auch dem Maulwurf mit seinen riesigen Krallen gelang es nicht, den Dreck wegzuschaufeln. Die Keiler kamen gar nicht mehr hinterher, mit ihren großen Hauern die Autoreifen und Kanister wegzuschaffen. Hier unter der Erde fanden wir eine zauberhafte Welt, in der alles in Ordnung war. Doch nun wird es jeden Tag dunkler. Bald erlischt das Licht ganz! Wir wissen nicht wohin! Hier unten können wir nicht bleiben, aber oben in eurer Welt können wir auch nicht leben!"
Marc und Lara sahen sich an. Nachdenklich sagte Lara: "Wir helfen euch – versprochen! Bis morgen ist uns sicher eine Lösung für euer Problem eingefallen."
Marc schaute sie entgeistert an, sagte aber nichts. Die Freunde drehten sich um und stiegen langsam die Stufen zu ihrer Welt hinauf. Oben angekommen, schloss sich die Luke.
"Da hast du uns ja was Tolles eingebrockt! Wie sollen wir dieses Versprechen jemals einlösen?", schimpfte Marc.
Beide trotteten langsam und nachdenklich durch den Wald. Erst jetzt fielen ihnen die vielen Autospuren auf, die kreuz und quer durch den Wald führten, die weg-geworfenen Flaschen unter dem Brombeerstrauch, die Büchsen und Benzinkanister, die überall herumlagen. So schmutzig war ihnen der Wald noch nie vorgekommen. Kaum waren sie am Bolzplatz am Rande des Waldes angekommen, auf dem sich ihre Klasse in den Ferien immer traf, rief ihnen der große Jonas schon zu: "Ei, ei, ei, was seh' ich da ..."
Er verstummte jedoch sofort, als er sah, was Marc in der Hand hielt.
"Was ist das denn für eine tolle Feder? Die glitzert ja, dass du fast blind wirst!"
Marc sah verwundert auf seine Hand. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er die Feder des Zaubervogels die ganze Zeit fest in seiner Hand gehalten hatte. Langsam drehte er sie hin und her. Das Sonnenlicht brach sich darin und sie glitzerte in tausend Farben. Alle Kinder versammelten sich um Marc und Lara. Die Freunde erzählten ihre unglaubliche Geschichte. Zum Schluss riefen alle Kinder durcheinander:
"Unfassbar!"
"Wir müssen helfen!"
"Klar, machen wir mit!"
Lara rief: "Toll, dass ihr uns helfen wollt! Wir müssen uns beeilen! Es wird immer dunkler in der zauberhaften Welt da unten!"
Sie verabredeten sich für den nächsten Tag am Fuße der alten Blutbuche. Alle waren da – bewaffnet mit Müllsäcken, Harken und Eimern, allen voran der große Jonas. Die Luke zwischen den knorrigen Wurzeln öffnete sich, doch kein Licht strahlte, alles war düster. Plötzlich sahen die Kinder einen Zug von Tieren die Treppe hinaufkommen: Ganz vorn flogen die Glühwürmchen und leuchteten den Weg aus, an den Seiten des Trosses flogen die Mücken und Fliegen und achteten mit ihren Prismaaugen darauf, dass kein Tier vom Wege abkam. Den Abschluss bildeten die Eidechsen und Eulen, die ihre Augen in alle Richtungen blicken ließen, um kein Tier in der dunklen Zauberwelt zurückzulassen. Den Kindern blieb bei diesem Anblick der Mund offen stehen.
Doch sie hatten nicht viel Zeit zum Staunen. Kaum waren die Tiere oben angekommen, fingen sie auch schon an, den Wald aufzuräumen: Die Hirsche fegten mit ihren Besengeweihen den Waldboden, dass es nur so staubte, die Maulwürfe mit ihren riesigen Mistgabelpranken schaufelten Autoreifen und Kanister weg, die Keiler spießten Dosen auf ihre gewaltigen Hauer. Die Kinder kamen mit dem Einsammeln des Mülls kaum hinterher. Schnell wurde der Wald sauber und begann wieder zu strahlen und in saftigem Grün zu leuchten. Die Tiere bedankten sich bei den Kindern für ihre Hilfe und nahmen den Wald wieder in Besitz. Das Eichhörnchen sprang fröhlich von Baum zu Baum, der Maulwurf grub sich ein, die Wildschweinrotte suhlte sich in einer Schlammpfütze und die Hirsche zogen sich, majestätisch mit ihren Geweihen wippend, in das Dickicht zurück.
Heute ist der letzte Ferientag. Aus Rücksicht auf die Tiere im Wald können sich Marc und Lara nun nur noch am Wochenende in ihrem Baumhaus treffen. Sie lesen gerade die letzte Seite in ihrem zauberhaften Buch, als der magische Vogel erscheint, ihnen das Buch aus den Händen zupft und durch das Fenster davonfliegt. Lautlos schwebt eine zweite, glitzernde Feder zu Boden. Lara hebt sie auf und hält sie ganz fest.

"Wir hatten 14 hochmotivierte und phantasiebegabte Kinder am Tisch – schwierig war am Anfang vor allen Dingen zusammenzufinden. Als die Kinder sich für Personen und Handlungsort entschieden hatten, verselbständigte sich alles. Schnell einigten sich die Kinder auf den Ablauf der Geschichte. Dabei überschlugen sich die Ideen und eine war besser als die andere. Sehr interessant war für uns, dass es keine Missstimmungen gab. Gute Ideen wurden angenommen und ausgebaut. Keiner beharrte auf seiner Idee. Nach 2 Unterrichtsstunden war unsere Geschichte fertig – die Kinder und wir auch!"
(Auszug aus dem Brief der Lehrerinnen Frau Rettig, Frau Jahn und Frau Köbernick)